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Psychoanalytische Konzepte der Entwicklungspsychologie

Psychoanalytiker haben einen sehr wichtigen Beitrag zu der Entwicklungspsychologie geleistet. Ohne Anna Freud, John Bowlby, Charlotte Bühler, Margaret Mahler usw. wäre die Entwicklungspsychologie nicht dort, wo sie heute ist. Außerdem stellen psychoanalytische entwicklungspsychologische Konzepte interessante Möglichkeiten zur Generierung von Hypothesen über (unter Anderem) Familienlebenszyklen dar, die auch für Systemiker nützlich sein können. Hier dann eine Einleitung in die psychoanalytischen Konzepte.

Die psychoanalytische Entwicklungspsychologie (in seiner ursprünglichen Form, d.h. von Freud ausgehend) beschreibt die Entwicklung der Psyche des Kindes aus dem Gesichtspunkt von angeborenen Trieben, die das Denkmodell das Kind bestimmen und die einen Entwicklungsmotor darstellen.

Dieser Entwicklungsmotor, der Trieb, entstammt einem körperlichen Spannungszustand, der die Lebens- und Selbsterhaltung dient. Besonders wichtig hier sind die Bedürfnis (bzw. Wünsche) nach Ernährung und der Sexualtrieb. Der Triebdrang baut sich ausgehend von einem seelischen Niederschlag auf und ist unabhängig vom Willen des Bewusstseins (das ICH). Das Bewusstsein bzw. das ICH andererseits möchte es, dass sich diese Bedürfnisse umweltangemessen (z.B. sozialvertraglich) verwirklicht werden und versucht sie deshalb zu lenken oder sogar zurückzudrängen.

Die Triebenergie selbst hat Freud Libido genannt und ihre Gesetzmäßigkeit als das Lust-Unlust-Prinzip. Demzufolge ist Verhalten als ein Versuch psychische Unlust zu minimieren und psychische Lust (sowie ein Gefühl der intrapsychischen Sicherheit) zu maximieren zu verstehen. Später (mit „Jenseits des Lustprinzips“ in 1920) ergänzte Freud diese Konzeption durch die zusätzliche Annahme eines Todestriebs

Dieses neue dualistische Konzept besagte, dass es dass es auch destruktive Triebe gibt, die sich vor allem als selbstzerstörerische Handlungen manifestieren. Dieser Todestrieb befindet sich nach Freud in einem immerwährenden Widerstreit mit der Libido. Das Zusammen- und Gegeneinanderwirken dieser beiden Triebe führt nach Freuds Ansicht zum dynamischen Bild des menschlichen Lebens und ist als Motor der Entwicklung zu sehen.

Die Entwicklung diesen Entwicklungsmotor laut der Psychoanalyse findet folgendermaßen (unbewusst) statt:

  • Das Kind kommt auf die Welt und hat eine angeborenen genetische Ausstattung, die ihm vielen Möglichkeiten anbieten – eine sogenannte undifferenzierte Matrix
  • Aus dieser Matrix entwickeln sich in den ersten Monaten das ES (Sitze des Libidos und Todestrieb bzw. Thanatos bzw. Aggressionstrieb)
  • Mit der Reifung der Nerven in den ersten drei Lebensjahren manifestiert sich das ICH (das Bewusstsein), die für die Wahrnehmung und die Gefühle sowie die Regulierung bzw. Abwehr von Triebimpulse verantwortlich ist.
  • Im vierten und fünften Lebensjahr entsteht das ÜBER-ICH, das Gewissen, das die Regeln der Gesellschaft und die Erwachsenenwelt darstellt. Diese ergibt sich auch Forderungen der Umwelt, die integriert bzw. internalisiert werden und sich zu eigenen Regeln des Kindes werden.

Stufen der Entwicklung nach der Psychoanalyse

In der Psychoanalyse wird Entwicklung als eine Reifung beschrieben, die nach einer inneren Schemata ablaufender Prozess stattfinde, d.h. die ist schon festgelegt und geschieht von selbst ohne zu tun. In den 20er und 30er Jahren hat man gedacht, dass es eine letzte Phase, die Reife, gibt und diese komme nach dem Jugendalter und dann ist die Entwicklung beendet. 

Heute sehen Psychoanalytiker die psychische Entwicklung als lebenslanger Prozess (d.h. es endet nicht nach der Adoleszenz) – der Mensch hat ein Potential für Veränderungen über die gesamteLebensspanne (vgl. Erik Erickson) und Entwicklungsprozesse sind nicht auf bestimmte Lebensphasen beschränkt.

Die Orale Phase (Die ersten 18 Monate)

Die orale Phase bezieht sich auf das erste Lebensjahr eines Kindes, wann das Kind lustvolle Empfindungen bekommt, wenn es orale Aktivitäten unternimmt, z.B. beim Saugen an der Mutterbrust. Freud ginge davon aus, dass diese Aktivitäten sexuellen Lustgewinn für den Säugling bereiten und deswegen wird diese Phase auch als oralerotische Phase bekannt. Darüber hinaus glaubt Freud, dass solche orale Handlungen zum Abbau von Spannungen beitragen.

Die Psychoanalyse geht davon aus, dass wenn das Kind hier eine Befriedigung seine Bedürfnisse erlebt, dann entwickelt es das allgemeine Gefühl im Leben, dass solche Befriedigungen zählen (optimistische Grundhaltung). Werden seine Bedürfnisse als nicht befriedigt erlebt, dann entwickelt es das allgemeine Gefühl im Leben, dass solche Befriedigungen nicht zählen (pessimistische Grundhaltung). Letztes kann in späterem Leben zu Gier, Missvertrauen anderen gegenüber und Unfähigkeit zu intimen Beziehungen.

Die Anale Phase (Zwischen 18 Monaten und drei Jahren)

Das Kind lernt, dass lustvolle Gefühle erweckt werden, wenn es seinen Stuhl bzw. Stuhlgang zurückhält und befindet sich im Zwiespalt – der Darminhalt ist ein unbewusstes „Geschenk“ an Eltern und Umwelt, das das Kind hergeben will aber andererseits sind die Empfindungen lustvoll. 

Das Kind erlebt sich daher als mächtig. In dieser Phase lernt dann das Kind unabhängig zu sein und seine persönliche Macht zu entdecken. Wenn dieser Phase von starken Ängsten begleitet wird, dann lernt das Kind negative Gefühle, wie Aggression, zum Ausdruck zu bringen und kann im späteren Leben überordentlich, übersparsam oder sehr eigensinnig werden.

Phallische bzw. ödipale Phase (drei bis sechs Jahren)

Die phallische Phase konzentriert sich auf die Genitalien und das Vergnügen damit. In dieser Phase findet das Ödipus bzw. Elektra Komplex statt.

Die ödipale (oder phallische) Phase dauert vom dritten bis sechsten Lebensjahr. In dieser Phase fangt das Kind an den eigenen Körper zu erforschen. Dazu gehört das Anfassen bzw. Stimulieren vom Penis oder der Klitoris. Die Triebwünsche vom ES bei einem Jungen sind in dieser Phase laut Freud das (sexuelle) Begehren der Mutter. Diese begehrende Liebe des Jungen stößt auf das Verbot des Vaters und die Angst vor Bestrafung (die wirkliche oder vermeintliche Drohung mit Kastration durch den Vater). 

Der Junge will seinen Vater nur wegschaffen, damit er die Mutter für sich alleine haben kann und das heißt für sein kindliches Verständnis soviel wie „töte“. Dieser Mordwunsch steht aber in Widerspruch zu den Liebesgefühlen und Identifizierung bzw. Bewunderung, die er für seinen Vater empfindet und auch zu der Abhängigkeit von seiner Fürsorge, die er von seinem Vater bekommt.

Bei der Auflösung (bzw. günstige Ausgang) des ödipalen Konfliktes geht es darum, dass das Kind erkennt, dass es den gleichgeschlechtlichen Elternteil nicht ersetzen kann. Es fängt an, sich stärker mit diesem Elternteil zu identifizieren und das sexuelle Begehren gegenüber der Mutter zu verdrängen. Zugleich wird die Autorität seines Vaters verinnerlicht und seine Gebote manifestieren sich jetzt als Gebote des Gewissens bzw. ÜBER-ICH. Man kann sagen, dass der internalisierte, verbietende Vater das Gewissen darstellt und Basis für das ÜBER-ICH sei.

Laut Freud ist ein Mädchen auch ursprünglich auf die Mutter fixiert. Während der Phallischen Phase entdeckt das Mädchen, dass es keinen Penis hat. Freud nennt dies „Penisneid“, da er meinte, dass in diese Phase das Mädchen den Penis des Mannes beneidet. Dies führt dazu, dass einerseits das Mädchen es ihre Mutter verübelt, dass sie kastriert sei und andererseits fängt sie an, Liebesgefühle ihrem Vater gegenüber zu entwickeln. 

Die Gefühle gehen so weit, dass das Mädchen ihre Mutter ersetzen und ein Kind von ihrem Vater bekommen will. Das Elektra-Konflikt wird auf gleichen Art und Weise wie das Ödipus-Konflikt aufgelöst, indem sich das Mädchen wegen Angst vor Bestrafung und Verlust der Liebe der Mutter, sich stärker mit der Mutter identifiziert und die Mutter als verbietendes Gewissen bzw. ÜBER-ICH internalisiert wird.

Freud postulierte, dass diese Phase der Ödipus bzw. Elektrakonflikt beim Jungen schmerzliche verläuft als beim Mädchen, da Mädchen den Vater nie so intim „besessen“ haben, wie einst die Mutter. Dementsprechend ist das Ergebnis des Prozesses bei dem Jungen ein viel strengeres ÜBER-ICH als beim Mädchen.

Die Latenzphase (sechs bis zwölf Jahren)

Es kommt zu einem vorübergehenden Stillstand in der sexuellen Entwicklung des Kindes und sexuelle Gedanken an das andere Geschlecht werden in den Hintergrund gedrängt. Dies manifestiert sich beispielsweise in dem Freundeskreis des Kindes, so nach dem Motto „Jungs“ oder „Mädels sind blöd“. In dieser Phase ist der Schwerpunkt der Entwicklung auf die Anpassung der Anforderungen der Umwelt.

Die genitale Phase (ab dem 12. Lebensjahr bis zur Pubertät)

In dieser Phase kommt es zu einem Erwachen der sexuellen Entwicklung und der damit verbundenen Konflikte. Der Jugendliche annähert sich langsam das andere Geschlecht. Schnelle körperliche und geistige Entwicklungen sind auch prominent.

Neuere Konzepte der Psychoanalyse

Neuere Ansätze der Psychoanalyse betonen weniger den Triebaspekt als den Beziehungsaspekt und die Befriedigung von Abhängigkeits- und Zärtlichkeitsbedürfnissen (vgl. R.Spitz, Bowlby, Harlow). Diese Theorien betonen sozialen Einflüssen, die dem Kind ausgesetzt ist. 

Beispiele: das Erlebnis der Abhängigkeit ist emotional gesehen das prägende Erlebnis der frühen Kindheit; mit ca. 6 Monaten das „Fremdeln“, wenn das Kind die nahen Bezugspersonen von Fremden unterscheiden und reagiert auf Fremden mit Angst. Das Denkmodell der Triebe als Entwicklungsmotor wird mit diesem Hintergrund mehr und mehr durch das Denkmodell als Motivationssystem ersetzt. Es werden die Triebe als Motivationen verstanden, die zur Entwicklung des Kindes beitragen und sie vorantreiben.

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